Das Erlebnis mit dem Ball...

Die Energie – irgendwann passiert es einfach


 

Nach langen Jahren des Praxis der äußeren Kampfkünste begann ich vor einiger Zeit mit dem Studium der inneren Kampfkünste, insbesondere des Tai Chi im Yang-Stil. Essentiell für das Tai Chi – diese Aussage stand ganz am Anfang des Trainings – ist das Erleben, später die Kontrolle des Energieflusses Qi. Nun ist das Konzept von Qi für einen ehemaligen Wissenschaftler wie mich nicht ganz einfach zu akzeptieren. Qi kann man nicht messen und wenn man an ein Oszilloskop an den Übenden anschlösse, so würde dort nichts zu sehen sein. Und fühlen tat ich erst einmal gar nichts.

Auch die Aufforderung, im Stand und bei den Atemübungen, später beim gesamten Formenlauf, den Kopf einfach zu leeren und alle Gedanken hinwegfließen zu lassen, ist einfach aufgestellt, aber schwer umzusetzen. Ich dachte: 15 Minuten „Stehen wie ein Baum“ und nicht denken? Unmöglich!

Oder die kleinen Aufgaben, die zu den Übungen dazugehören: Spüre die gesamte belastete Seite, spüre den Rücken wie er sich beim Vertreiben des Affen gegen die Luft bewegt („Mit Oberbekleidung an? Was ein Quatsch.“), verbinde Fuß und Hand miteinander und spüre deren Verbindung. Und immer wieder: Spüre das Chi. Öffne die Hände und stelle dir einen Ball vor, spüre den Ball aus reinem Qi.

Schwierig, schwierig. Kein Vergleich zu einem ordentlich ausgeführten Schlag oder Tritt, wo du genau fühlst, wie die Gelenke zueinander stehen und die auftreffende Fläche stabilisiert wird. Aber glücklicherweise ist wenigstens das Üben angenehm … hmmm … ja doch, ich mag zwar nichts Besonderes spüren, aber es tut irgendwie gut …

Kein Wunder. Wenn die Energie fließen soll, muss der Körper entspannt sein und Knochen und Gelenke so zueinander stehen, dass keine Sperren und Blockaden entstehen. Unter Anleitung ist das erstens sehr leicht zu erlernen und zweitens fühlt sich das einfach richtig an. Qi? Keine Ahnung. Aber ich stehe seeehhhr bequem.

Ein erster Blick hinaus …

Den Geist leeren? Schaffe ich nicht. Aber die Gedanken, die kommen, die tun gut … mein Sohn … Blumen … ein Zoobesuch – ja doch so lässt es sich gut aushalten. Und als es vorne heißt, „Augen öffnen und lösen“, geht der Blick zur Uhr – eine Viertelstunde? Unglaublich!

Es ist unwichtig, ob du das Kribbeln oder die Wärme des Qi spürst, denn die Entspannung schaffst du auch so. Die Verbindung von Hand und Fuß wirst du anfangs nicht spüren können, aber dass sie verbunden sind, kannst du erahnen, weil es sich in der Bewegung einfach richtig anfühlt. Den Ball fühlst du vielleicht nicht, aber dass Hände, Ellbogen, Schultern richtig zueinander stehen merkst Du, weil du sie mit geringer Anstrengung fünf, zehn, fünfzehn Minuten hochhalten kannst.

Und du wirst nach kurzer Zeit merken, dass die Erfahrung der entspannten, innerlich geöffneten Körperhaltung auch dein Shaolin-Kempo, Karate, Taekwondo, Jiu usw. verändert, denn du wirst dich immer so bewegen wollen. Dein Zenkutsu dachi wird nichts an Präzision verlieren, wenn du ihn gelöst stehst, aber dich wird nichts mehr umwerfen können und du wirst viel schneller in die nächste Technik hineinkommen.

Und was mein Glaubensproblem angeht; die Frage, ob es Qi überhaupt gibt, wo es doch nicht nachweisbar ist – das ist auch nicht so wichtig, stellte ich voller Überraschung fest. Denn auch ohne an irgendetwas zu glauben, meldete mein Körper mir: „Das tut gut, mach bloß weiter“. Entspannen und mitmachen reicht schon völlig aus, um sich gut zu fühlen. Und das reichte mir völlig aus, um dabei zu bleiben.

 

Qi? Naja, aber es ist einfach schön …

Übrigens: nach knapp drei Jahren – es war eine ganz einfache Atemübung – da war der Ball plötzlich da. Er fühlt sich ein bisschen wie ein warmer Volleyball an und er pulsiert ganz langsam im Rhythmus meines Atems und ich kann ihn ebenso deutlich spüren, wie einen echten Ball. Er gehört jetzt mir und ich kann ihn hervorholen, so oft ich will.

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