Von Meistern und Schülern

Meister und Schüler, ein ganz besonderes Verhältnis


 

Von flachen Hierarchien und Mitbestimmung wird man in den Kampfkünsten eher wenig bemerken – hier herrscht in der Regel ein streng asymmetrisches Verhältnis von Meister und Schüler. Die Herkunft der meisten Stile aus Kulturen, die für ihre Autoritätsgläubigkeit bekannt sind zementiert das sowieso ausgeprägte Ungleichverhältnis. Umso wichtiger ist es, dass das Verhältnis von Meiste rund Schüler stimmt.

Was heißt „stimmen“? In erster Linie heißt das, dass beide, besonders aber der Meister, sich der besonderen Verantwortung bewusst sind, die der besonderen Materie entstammt mit der sich beide beschäftigen.

Eindeutig ist dies wohl im Falle der zu erlernenden/zu lehrenden Techniken. Abseits aller richtigen Worte über Philosophie und den Körper und Geist der Übenden, ist es nun einmal so, dass alle Kampfkünste lehren zu verletzen und zu töten. Das darf nicht jeder lernen, das kann nicht jeder lehren, oder?

Aber auch Philosophie und die Geisteshaltungen der Kampfkünste, die eingangs dieser Abteilung kurz angesprochen wurden verlangen Verantwortungsgefühl.

Der Schüler sollte sich in Acht nehmen vor schlechten Lehrern, die den Geist des Bushido nicht richtig vermitteln können oder wollen – sie sind nicht schwer zu erkennen. Der Meister muss sich immer vor Augen halten, dass er seine Schüler nicht nur Techniken lehrt, sondern den gesamten Kontext ihrer Anwendung und des Übens – Stichwort Kampf gegen sich selbst – immer mitvermitteln muss, und dass dies eine erhebliche moralische Bürde ist, denn damit ist eine ganzheitliche Ausbildung des Schülers verbunden, und je jünger der Schüler ist desto umfassender ist der einfluss des Meisters, desto größer also seine Verantwortung.

Die meisten – und ich lernte viele kennen – machen das sehr gut. Trotzdem gilt natürlich für die einen wie für die anderen, sich die Schüler wie die Meister mit Bedacht zu wählen. Gerade erst habe ich dies für meinen Sohn getan (mit vielleicht mehr Sorgfalt als ich es für mich getan hätte) und bin froh, dass ihn das Dojo der Shodai Marcus Bartsch und Holger Martek – das Bushikan in Herne – aufgenommen hat und er dort unter den Fittichen von Sensei Sonja Klimke übt; er hat schließlich Großes vor …

Was vielen Kampfkunstmeistern nicht gefallen wird, ist allerdings das Folgende:

In der Praxis wird das hierarchische Denken oft übertrieben. Wir leben weder im asiatischen noch im europäischen Mittelalter und Schüler sind keine Leibeigenen.

Damit meine ich nicht, dass irgendwelche Abhängigkeitsverhältnisse ausgenutzt werden, sondern will damit falsch eingerichtete Loyalitäten anprangern.

Essentiell: die Wahl des Dojos

Dazu eine Geschichte…

…als ich vor über 30 Jahren noch ein junger Schüler war, kam es im Verein zu einem Eklat. Einer der Danträger hatte sich einer anderen Denkrichtung innerhalb des Jiu Jitsu angeschlossen als diejenige, die der Großmeister unseres Dojos vertrat. Es kam zum Bruch, der jüngere Danträger verließ den Verein und gründete einen eigenen. Einige Schüler lud er ein, doch auch seinen Verein wenigstens zu besuchen und einmal mitzutrainieren. Wer dieses Angebot annahm, so wurde uns Verbliebenen dann klargemacht, sei ein Verräter und brauche sich im Stammverein nicht mehr blicken zu lassen, denn der neue Verein wende sich ja gegen den Lehrer unseres Großmeisters. Ich ging natürlich nicht hin …

Heute würde ich gehen. Denn das hat nichts mit Verrat zu tun, ist keine Undankbarkeit und selbst wenn ich dann wechselte, würde das meinen alten Meister nicht im Geringsten herabsetzen, denn in tiefer Dankbarkeit behalte ich ja, was ich von ihm lernte.

Deshalb kann ich jedem Schüler – und wir sind alle die meiste Zeit Schüler und die geringere Zeit Meister – nur raten, sich umzuschauen. Schau dich um und lerne neue Ideen, neue Techniken, neue Gedanken kennen. Behalte nur Deine Lehrer in Dankbarkeit in deinem Herzen, denn was du heute bist, verdankst du in sportlicher Hinsicht allein ihnen und in menschlicher Hinsicht zu einem größeren Anteil als dir wahrscheinlich klar ist.

Und es gibt Verständnis, ja sogar Nachdruck für dieses Denken auf Seiten mancher Meister. Shodai Uwe Hasenbein erzählt gerne, dass ihn einst einer seiner Meister vor die Tür setzte – weil er wollte, dass Uwe neue Meister, neue Stile, neue Wege zu denken und zu üben erlernte. Wir sollten es spätestens als junge Meister vielleicht halten wie die Handwerksgesellen alter Zeit – und von Ort zu Ort ziehen.

Jedem Meister rate ich, seinen Schülern alles zu gönnen, was sich ihnen eröffnen mag. Niemand verrät dich, kein anderer kann, was du kannst so, wie du es kannst. Aber vielleicht muss dein Schüler jetzt etwas anderes kennenlernen. Lass ihn gehen und nimm ihn wieder auf, wenn er zurückkommt. Und sei ihm dankbar, denn er lehrte dich mehr als du ihn.

Hey, was soll der letzte Satz denn heißen?

Das ist mir auch erst bei Bodo Wiegel klar geworden. Bodo ist mein Taijiquan- und Shotokan-Lehrer und -Partner und mein bester Reisegefährte auf dem Seidenfluss. Bodo schließt jedes Training damit ab, dass er sich nach dem Abgrüßen bei seinen Schülern bedankt.

Warum?

Weil wir beim Lehren mehr lernen als beim Lernen: Wir sind besser als beim sonstigen Üben, denn wir sind Vorbild für die Schüler; wir sind konzentrierter, denn wir müssen sie alle im Auge haben, weil wir die moralische Verantwortung tragen, sie in der richtigen Form – fordern, aber nicht überfordern – anzuleiten; wir sehen in ihren Fehlern, an welchen Stellen wir uns verbessern müssen und sie erinnern uns daran, dass wir ebenfalls immer Schüler bleiben*.

* Viele Stile haben verschiedenfarbige Gürtel, auf Japanisch Obi, um den Erfahrungsgrad der Schüler anzuzeigen, erst die Meister dürfen einen schwarzen Gurt tragen. Üblicherweise beginnt man als Schüler mit einem weißen Gürtel. Es gibt Stile, in denen die höchsten erreichbaren Meistergrade wiederum einen weißen Gürtel beinhaltet, um die Großmeister daran zu erinnern, dass sie mit Blick auf die Perfektion immer am Anfang stehen werden.

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