Von Beharrlichkeit und Langeweile

In den Kampfkünsten und in der Meditation kommt es auf eine hohe Portion Beharrlichkeit an, bis man einigermaßen auf Erfolge zurückblicken kann. Naturgemäß muss man umso mehr Beharrlichkeit zeigen, je besser man werden möchte. Das bedeutet dann über Jahre andauernde Meditationsübungen, am besten täglich, und das ebenfalls jahrelange Ausführen der immergleichen Techniken.

 

Wird das nicht langweilig?

Nein, wird es nicht. In der Meditation schon mal gar nicht, denn Langeweile ist ein Zustand, der beim Erreichen schon der oberflächlichsten Level des Meditierens nicht mehr vorkommen kann, weil der veränderte Bewusstseinszustand dies Gefühl nicht ermöglicht.

Aber in den Kampfkünsten ist der Gedanke schon recht naheliegend, oder? Den geraden Fauststoß übt jeder von Anfang an und lässt ihn niemals hinter sich, egal welche Meisterschaft er oder sie erreichen mag. Hunderte, tausende, zehntausende Male und öfter in einem langen Kampfkünstlerleben. Und das gilt für alle Grundtechniken … Und für die Formenläufe – selbst die erste Kata oder die einfachste Tai Chi-Form verlässt einen auch nach 20 oder 30 Jahren nicht. Das muss doch langweilig werden!

Nein, wird es nicht, ehrlich. Der Grund dafür ist, dass es so etwas wie eine einfache Bewegung, eine einfache Technik oder eine einfache Form nicht gibt. Selbst der gerade, schnörkellose Fauststoß ist ein Wunder der Koordination und ein ästhetisches Erlebnis, wenn man es recht bedenkt.

Wenn man lernt, die große Schönheit, die noch in der kleinsten Bewegung liegt, zu erfahren und sich in die Anmut eines jeden Stoßes, Blocks oder Tritts fallen zu lassen, dann beginnt sich erst die Gesamtheit der Kampfkunst langsam zusammenzusetzen. Man muss an jedem kleinem Steinchen jahrelang feilen, um das Mosaik, zu dem es gehört, in größtmöglicher Schönheit entstehen zu lassen.

Kein Schlag ist zufällig, es gibt keinen Stand, der nicht mit gutem Grund genauso ausgeführt wird, wie er ausgeführt werden sollte. Alle Teile des Körpers stehen in Harmonie zueinander und so, dass der Zweck – Spannung, Entspannung, Kraftentfaltung, Deckung – optimal umgesetzt wird.

Egal welches Ziel man erreichen will – körperliche Fitness, geistige Entwicklung, Schutz und Selbstsicherheit, sportlicher Wettkampf – man erreicht das jeweilige Optimum erst, wenn diese kleinen, bedeutungslosen Steinchen perfekt sind – naja, nahezu perfekt ist wohl das Beste, was man erreichen kann.

Nehmen wir den geraden Fauststoß doch einmal heraus: Die Bewegung beginnt im Fuß und zieht in die Hüfte hoch, die Hüfte setzt den ganzen Oberkörper faustseitig in eine ein paar Grad rotierende Bewegung, während aus der Schulter heraus der Arm nach vorne schießt, die Faust dabei eindrehend, zuletzt satt einrastend. Im Augenblick der Ausführung steht der gesamte Körper für eine Zehntelsekunde unter voller Anspannung; Faust, Arm, Schulter, Oberkörper und Hüfte dabei trotz aller Schnelligkeit harmonisch aufeinander abgestimmt mit einem absolut festen Stand im Unterkörper. Sofort wird die Spannung aufgelöst – bereit für die nächste Technik – und man spürt, dass alles richtig ist, die Ausführung, der Augenblick des Schlages, die Stellung danach.

Was ich hier so umständlich beschreibe, findet innerhalb einer Sekunde statt, in der nächsten passiert es schon wieder, und noch mal und und und … Es ist eine ganz eigene Art von Schönheit, die sich noch in der einfachsten Bewegung in der Grundschule entfaltet. Man muss sie nur erkennen. Für viele ist die Grundschule der langweiligere Teil des Trainings, den man schnell hinter sich bringen will, um zu kämpfen, um zum Kumite und zur Kata zu kommen. Das ist verständlich, wird der Bedeutung der einzelnen, gar nicht kleinen Technik aber nicht gerecht.

Also braucht es beharrliches Üben, um die Details zu angemessener Bedeutung kommen zu lassen. Und dies beharrliche Üben der immer gleichen ‘Kleinigkeiten’ ist, was vermeintlich langweilig ist. Aber nur, solange man sich nicht voll auf die einzelne Übung einlässt. Wenn man, was ich im Absatz über den Fauststoß oben schrieb, erspürt, dann offenbart sich die ganze Schönheit der Details. Das ist eine Schönheit des Fühlens – denn man sieht ja nicht von außen, was man da tut – die aber gerade deshalb umso intensiver ist, wenn man sie nur zulässt.

Hier treffen wir nämlich auf ein weiteres Prinzip der Kampfkünste: das Primat des Fühlens. Fühlen ist nicht nur schneller als das Auge, es ist auch intensiver. Kampfkunst und Energiearbeit ist reine Körperlichkeit, die man nur spüren, und auf keine andere Weise erfahren kann: Man muss sich ganz dem hingeben, was einem die Nervenfasern aus den verschiedenen Regionen des Körpers melden. Und je besser man die Techniken ausführt, desto schöner wird das Gefühl.

 

Und diese Schönheit ist es,

die zu mehr und zum Weitermachen motiviert.

Es ist, nehme ich an, wie beim Tanz. Auch die Tänzerinnen und Tänzer müssen immer wieder das Gleiche üben und tun dies ohne zu murren. Warum? Tanz ist schön, aber sie sehen sich beim Üben ja nicht von außen. Ich denke, dass Tänzer die Schönheit ihres Tuns spüren. Das ist zumindest, was man in den Kampfkünsten spüren kann, wenn man sich der eigenen Körperlichkeit öffnet.

Und deshalb ist das beharrliche, ‘langweilige’ Üben selbst schön …

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